So laut die Stille

Roman. Mit einem Nachwort von Husch Josten

Von Tardieu, Laurence

EDITION NAUTILUS; EDITION FÜNF, 2017, 160 S., 198 mm, Gebunden

ISBN: 978-3-942374-89-7

19,00 €

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Übersetzung: Gleinig, Kirsten

Frankreich nach Charlie Hebdo
Was wiegt persönlicher Verlust im Angesicht des Terrors?

Januar 2015: Die Erzählerin schreibt an einem Roman über das Haus ihrer Kindheit in Südfrankreich. Es soll verkauft werden, und sie möchte die Erinnerungen daran retten. Die Anschläge von Paris auf die Redaktion von Charlie Hebdo reißen sie aus dem Schreiben heraus. Der Verlust des Gefühls von Sicherheit in der eigenen Lebenswelt färbt alles - auch der Verlust des großelterlichen Haus es erscheint in anderem Licht. Sich im Schreiben diesen Rückzugsort zu bewahren, der lange untrennbar mit ihrer Existenz verbunden war, wird zu einem aussichtslosen Projekt. In der Erinnerung an das unbeschwerte Leben in Nizza und im Erleben des veränderten Alltags in Paris sucht sie nach Antworten auf die Frage, was in einer zerfallenden Welt noch standhält.

Sie versucht, in der Sprache selbst den Halt zu finden, den sie zum Weiterleben braucht - für sich, ihre Töchter und den Sohn, den sie zur Welt bringen wird -, bis die Attentate im November die Stadt erneut erschüttern. Eine Geschichte, die politische und private Ereignisse miteinander verwebt und der Angst vor dem Terror die Suche nach der eigenen Freiheit entgegenstellt.§09§"Seit dem 7. Januar ist alles durchlässig geworden. Die Welt ist mir unter die Haut gekrochen."

Es war beschlossen worden, beide Gebäude zu stürmen. Sowohl die Druckerei, in der sich die beiden verschanzt hatten, die das Blutbad bei Charlie Hebdo angerichtet hatten, als auch den Supermarkt an der Porte de Vincennes. Wie gelähmt starrten wir auf mein Handy und verfolgten Minute für Minute den Ablauf der Ereignisse. Der Sturm auf beide Orte würde jeden Moment losgehen. Ich saß auf dem grauen Sofa im Wohnzimmer und hielt meine Töchter fest im Arm, spürte ihre Wärme in mich strömen, ihre Körper an meinem Körper, an meiner Haut. Ich schloss die Augen, sog ihren Geruch ein. Ich konnte nicht genug davon bekommen. Ich spürte, wie das Baby in meinem Bauch sich bewegte. Ich fragte mich, ob die Bewegungen anders wären, wenn draußen Ruhe herrschte, ob dieses kleine, von meinem Körper geschützte Wesen wohl tief in seiner Höhle die Gewalt der Außenwelt spürte und ob auch ich das, was passierte, genauso stark empfi nden würde, wenn ich nicht dieses Leben in mir trüge. Seit achtundvierzig Stunden lebte ich sozusagen gleichzeitig in zwei völlig widersprüchlichen Realitäten, in der Schwangerschaft, der Langsamkeit, Beständigkeit, einer Sphäre, die meine Vergänglichkeit negierte, und in der anderen Realität, in der das Leben, ja selbst die Zeit mit einem Schlag ausgesetzt hatte. Ich drückte meine Kinder noch ein wenig fester an mich. Hier, zu Hause, beieinander, waren wir, da war ich diesmal ganz gewiss, in Sicherheit, hier erreichte die Gewalt uns nicht. Nichts war jemals so warm und zugleich so eiskalt gewesen.

Der Sturm ging los, an beiden Orten. Keiner von uns sagte etwas. Mehrere Minuten war auf dem Display nichts zu sehen. Es war wie ein schwarzes Loch, ein unendlich großes schwarzes Loch, das alle Möglichkeiten aufsog. Die heulenden Sirenen vom Mittwoch hallten in mir wider.



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