Meine Reisen mit Herodot

Von Kapuscinski, Ryszard

Eichborn, 2005. 360 S. 22 cm, Gebunden

ISBN: 978-3-8218-4746-7

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Mitarbeiter: Aus d. Poln. v. Martin Pollack

Auf den Schultern eines Riesen: Ryszard Kapuscinski reist mit dem ersten Reporter der Menschheitsgeschichte um die Welt. Schon immer war er von ihm fasziniert. Und bis heute ist er für ihn der Größte. Wann und wohin auch immer Ryszard Kapuscinski unterwegs war, Herodot war dabei. Dabei war es anfangs gar nicht so leicht, an ein Exemplar von dessen Historien zu kommen, denn in Polen gab es keine Übersetzung davon. Und als die fertig vorlag, durfte sie nicht gedruckt werden: Stalin lag im Sterben und das jahrtausendealte Buch erzählt mindestens ebenso viel vom Zerfall wie von der Schaffung riesiger Reiche, ebenso erschütternd vom Sturz der Mächtigen wie von ihrem Aufstieg. Erst 1954 kam der junge Ryszard Kapuscinski mit dem Buch in Berührung, und es erwies sich als Erleuchtung. Da war einer, von Neugier und Wissensdurst getrieben, aufgebrochen, die Grenzen der bekannten Welt auszuloten, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, oder sich wenigstens von Augenzeugen berichten zu lassen, was sich auf der Welt zugetragen hat. Herodot war kein Händler, Spion, Diplomat oder Tourist, sondern, wie später auch Ryszard Kapuscinski, Reporter, Anthropologe, Ethnograph und Schriftsteller.
Ryszard Kapuscinski erzählt, wie er mit Herodot nach Afrika, Asien und in Europa reist, was er an den Stellen findet, von denen einst der alte Grieche schrieb, welche Konflikte von heute ihre Wurzeln schon damals hatten und wie die Überlieferung menschlicher Geschichte funktioniert.

"Ehe Herodot seine Reise fortsetzt, felsige Gebirgspfade bezwingt, mit dem Schiff übers Meer fährt, auf dem Pferderücken die unwegsamen Weiten Asiens durchstreift, ehe er zu den mißtrauischen Skythen gelangt, die Wunder Babylons entdeckt und die Geheimnisse des Nils erforscht, ehe er hundert andere Orte kennenlernt und tausend unbegreifliche Dinge zu Gesicht bekommt, erscheint er für einen Moment in der Vorlesung über das antikeGriechenland, die Frau Professor Biezuiska-Malowist zweimal in der Woche für Studenten des ersten Jahres der Geschichte an der Universität Warschau hält.
Er erscheint und verschwindet gleich wieder.
Er verschwindet augenblicklich und so gründlich, daß ich jetzt, wenn ich Jahre später meine Mitschriften von diesen Vorlesungen durchsehe, seinen Namen darin gar nicht finde. Da gibt es Aischylos und Perikles, Sappho und Sokrates, Heraklit und Platon, doch keinen Herodot. Dabei verfaßten wir diese Notizen mit größter Sorgfalt, denn sie waren die einzige Quelle unseres Wissens: knapp fünf Jahre zuvor war der Krieg zu Ende gegangen, die Stadt lag in Trümmern, die Bibliotheken hatte das Feuer verschlungen, so daß wir keine Skripten besaßen und uns Bücher fehlten.Unsere Frau Professor hatte eine ruhige, leise, gleichmäßigeStimme. Ihre dunklen, aufmerksamen Augen musterten uns durch dicke Gläser mit merklichem Interesse. Sie saß an einem hohen Katheder und hatte Hunderte junger Menschen vor sich, von denen die meisten keine Ahnung hatten, daß Solon groß war oder Antigone verzweifelt, und auch nicht erklären konnten,auf welche Weise Themistokles die Perser bei Salamisin die Falle gelockt hatte.

Um die Wahrheit zu sagen, wußten wir nicht einmal richtig, wo Griechenland lag und daß ein Land dieses Namens eine so unerhörte, beispiellose Geschichte besaß, die es wert war, daß man sie an der Universität studierte."

Ryszard Kapuscinski ist 1932 in der ostpolnischen Stadt Pinsk geboren, die heute zu Weißrußland gehört. (Das war damals, wie er selber sagt, "Dritte Welt").
1945 kam seine Familie nach Warschau, wo er studierte. In den fünfziger Jahren wurde er als Korrespondent nach Asien und in den Mittleren Osten, später auch nach Lateinamerika und nach Afrika entsandt.

Martin Pollack, 1944 in Bad Hall, Oberösterreich geboren, studierte in Wien und Warschau, arbeitet als Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Polen, schrieb über Galizien und zuletzt erschienen seine Bücher Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann (2001) und Der Tod im Bunker. Bericht über meinen Vater (2004).



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