Der Grenzwächter

Von Mann, Edi

Omega, 240 Seiten, Flexoband m. Klappen

ISBN: 978-3-930243-65-5

14,95 €

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Ich bin ein Grenzwächter. Oder ich bin „der“ Grenzwächter. Ich weiß nicht, ob ich der einzige meiner Art bin, doch ist dies fast anzunehmen, denn im Laufe meiner Tätigkeit ist mir weder ein Kollege begegnet, noch habe ich von einem gehört. Vielleicht gibt es aber auch andere Grenzländer neben dem meinigen mit eigenen Grenzwächtern.
Dieses Grenzland, eine Insel oder Halbinsel, scheint einer permanenten Änderung und Wandlung unterzogen zu sein. Überprüfen läßt sich das aber nicht, denn es existiert kein Kartenmaterial. Es ist lebendiges Land, das sich in einem ständigen Prozeß des Werdens und Vergehens befindet. Es ist so flüchtig und unwirklich wie die Welt, in der du dich befindest. Und es ist nur durch einen Schleier von deiner Welt entfernt, den Schleier der Unwissenheit. Ein Zerreißen dieses Schleiers kann geschehen, doch du kannst ihn nicht zerreißen.
Ich bin hier, um einen „wahren“ Menschen zu finden. Mein Job ist es, die sich hier aufhaltenden oder ankommenden Personen darauf zu prüfen, ob sie den Kriterien entsprechen, die einen Grenzübertritt ermöglichen.
Diese Grenze stellt selbst so etwas wie einen Filter dar, durch den das Unwirkliche, ich nenne es einfach mal das Falsche, ausgefiltert wird und das Wahre passieren kann. Das ist meine Aufgabe hier. Die wahren Menschen passieren lassen und die falschen herausfiltern und eliminieren. 
Wo scheinen sie alle herzukommen? Aus dem Nichts. Und genau dahin lösen sie sich nach ihrer Eliminierung auch wieder auf. Ich bin es, der ihnen bei diesem Auflösungsprozeß hilfreich zur Seite steht. Der den Gestrandeten und Verirrten hilft, wieder „nach Hause“ zu kommen. Ja, auch so läßt sich diese dir vielleicht grausam erscheinende Tätigkeit definieren. Den in die Irre gegangenen Personen wird hier ihre Unwirklichkeit dargelegt, und dann wird ihnen geholfen, wieder nach Hause zu gelangen. Sie werden wieder integriert ins große Nichts, aus dem sie sich irgendwann einmal herauslösten. So gesehen ist es ein reiner Liebesdienst, der an diesen gestrandeten Personen vollbracht wird.
Du brauchst aber gar nicht erst den Versuch zu unternehmen, mich in dieser Grenzwelt aufsuchen zu wollen. Es wird dir nicht gelingen. Du kannst diese Grenze nicht von dir aus erreichen. Wenn du diese Erfahrung machen solltest, dann wird diese Grenzwelt zu dir kommen. Nicht wir entscheiden, in was für einer Welt wir leben, sondern die Welten stülpen sich uns über, sie drängen sich uns auf. Was aber auch wieder ein irreführender Gedanke ist, denn bei näherer Betrachtung findest du keinen Unterschied zwischen dir und deiner Welt.



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