Die Macht und die Ehrlichkeit

Kolumnen aus dem Medienzirkus

Von Lüönd, Karl

Rüegger, 2010. 210 S., Kartoniert

ISBN: 978-3-7253-0947-4

17,90 €

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Zum Buch:

Blendend informiert, rücksichtslos offen und mit sarkastischem Witz: Seit Jahren schreibt Karl Lüönd mit dem Erfahrungshintergrund von vier Jahrzehnten als Reporter, Chefredaktor und Verleger Schweizer Mediengeschichte(n). Zugleich führt er mit seiner Arbeit vor, was der wirkliche Ausweg aus der Krise der Publizistik wäre: Unabhängigkeit, Sachkenntnis, Zusammenhangswissen, Verständlichkeit, Leselust. In einem Wort: journalistische Qualität.

In diesem Buch wechseln indiskrete Porträts von Beat Curti bis Jürg Marquard ab mit historischen Essays von bleibendem Wert, zum Beispiel über die wahre Entstehungsgeschichte der Gratis-Tageszeitungen. Starreporter Constantin Seibt stellt den mehrfach preisgekrönten Autor in einem Porträt-Nachwort vor, und Nico karikiert die Verhältnisse bis zur Kenntlichkeit.

Vorwort

Die Medienindustrie in der wohlverdienten Krise – Mitleid ist fehl am Platz

Wir haben diese Krise redlich verdient. Sie ist die Folge jahrzehntelang geduldeter Bequemlichkeit und Arroganz. Arrogance means to be proud of ignorance.

Die Schweizer Medienindustrie hat den Wettbewerb nie wirklich trainiert, sondern ihn eher als störend und unanständig empfunden. Wirklichen Erfolg gehabt haben die paar lokalen Platzhirsche und vor allem die Aussenseiter, die sich um die kartellähnlichen Regeln der Branche foutiert haben: der Tages-Anzeiger (in seinen Gründungszeiten), Ringier, Rasworscheg (Beobachter). Die Platzhirsche haben ihre Lufthoheit über den lokalen Räumen bewirtschaftet und dabei die globalen Entwicklungen verschlafen. Und alle miteinander haben wir vor lauter Beharren die Chancen der Digitalisierung den anderen überlassen. Google, Amazone, Ebay, Twitter, Facebook, aber auch Zattoo, Doodle, Homegate, Search, Winner...

Wer hät’s erfunde? Lauter Aussenseiter und Branchenfremde, nur nicht die Medienindustriellen, früher Verleger genannt. Erfunden haben die eigentlich herzlich wenig bis gar nichts. Stattdessen haben sie ihre angestammten Reviere verteidigt und die Tradition fortgeführt. Das war ihre Aufgabe, gewiss. Aber vor lauter «Dienst nach Vorschrift» haben sie es versäumt, als Internet-Provider rechtzeitig die Stellwerke des massgebenden neuen Mediensystems zu besetzen. Dankbar haben sich die gierigen Telekoms diesen Brocken geschnappt. Die meisten Verleger haben die digitale Revolution an sich vorbeiziehen lassen und ihre Exportchancen vergeben. Dafür haben sie die skandalöse Marktverfälschung durch die SRG akzeptiert, indem sie sich ihre Radio- und Fernsehsender per Gebührensplitting mit einem besseren Trinkgeld subventionieren lassen und sich dem «Leistungsauftrag» der frechen Bakom-Bürokratie unterwerfen.

Tradition pflegen heisst nicht die Asche verwalten, sondern die Flamme bewahren.

Eine gewisse Marktblindheit geht einher mit der souveränen Verachtung der geistigen Leistung, welche die Grundlage der publizistischen Industrie bildet. Beziehungsweise bilden sollte. Im Zweifel (und in wirtschaftlicher Bedrängnis sowieso) ist es aber der Mehrheit der Schweizer Verleger lieber, hochmoderne Druckereien zu besitzen als in Inhalte zu investieren, auf die sie stolz sein können. Die Verachtung, die manche dieser Medienunternehmer den journalistischen Leistungsträgern entgegenbringen, manifestiert sich etwa dann, wenn in den Betrieben aus wirtschaftlichen Gründen Stellen abgebaut werden müssen. Die Tamedia, deren publizistisches Flaggschiff im redaktionellen Teil seit vielen Jahren aus linksliberaler Warte der ganzen Gesellschaft Sozialkompetenz und Moral predigt, hat im Juni 2009 etwa achtzig Journalistinnen und Journalisten, davon 24, die dem Pensionsalter nahe sind, auf die Strasse gestellt. Für Sozialpläne bzw. Frühpensionierungen wurden in einem ersten Verhandlungsschritt gerade mal 50 000 Franken pro Vollstelle bewilligt. Damit und mit den angesparten Pensionskassenguthaben ergibt sich zum Beispiel für einen 58jährigen Kollegen mit 22 Dienstjahren eine monatliche Rente von 2800 Franken.

Die dem Einschnitt vorangegangene Investitionsentscheidung – die Regionalisierung des «Tages-Anzeigers» – hatte eigenen Angaben zufolge jährlich wiederkehrend nicht viel weniger als zehn Millionen Franken erfordert. Als man zurückrudern musste, sollte die einmalige Ausgabe eines Drittels dieses Betrages ausreichen, um die sozialen Folgeschäden des vorangegangenen Fehlentscheids zu lindern. Für die ertragsschwache «Thurgauer Zeitung» und deren Verlag wurde dagegen gemäss unwidersprochenen Berichten die horrende Summe von rund 55 Millionen Franken bezahlt, für Espace Media und Edipresse je ein Mehrfaches. Der Kontrast zum Investitionsverhalten des Unternehmens, wenn es um die Eroberung fremden Terrains geht, fällt auf. Die Spätfolgen sind verheerend. Aus den Redaktionen wandern intelligente Leistungsträger in grosser Zahl ab. Noch nie waren windstille Nischen im Arbeitsmarkt so gesucht wie heute. Die Branche der «spin doctors» und anderer interessenvertretender Informationsspezialisten expandiert, während die Redaktionen, die deren Output kritisch filtern sollten, aus Spargründen eingedampft werden. Die Schere ist weit offen.

Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist dazu verdammt, sie noch einmal zu erleben.

Die Schweizer Medienindustrie erlebt derzeit, was Textil- und Uhrenindustrie schon hinter sich haben: Globale Strukturveränderungen überlappen sich mit dem Wandel der Konsumgewohnheiten und damit des Kundenverhaltens. Alte Angebotsformen versagen, auf einmal brechen bewährte Geschäftsmodelle weg. Und selbstverständlich passiert das alles ausgerechnet in einer wirtschaftlichen Krisenzeit, was die traditionell frühzyklische und extrem konjunkturanfällige Medienbranche besonders hart trifft. In diesem Buch sind publizistische Beiträge der vergangenen zehn Jahre versammelt, die aus der jeweiligen medienpolitischen und –wirtschaftlichen Aktualität heraus entstanden sind. In diesen Texten wird versucht, mit der nötigen Selbstkritik und Distanz zum eigenen Metier Schwachstellen, aber auch Chancen und Auswege aufzuzeigen.

Ohne die Unterstützung vieler Kolleginnen, Kollegen und Gewährsleute aus der Branche und ohne den Rat guter Freundinnen und Freunde wäre diese Sammlung nicht möglich gewesen. Ich danke allen, die dazu beigetragen haben, sehr herzlich, ohne einzelne Namen zu nennen; ich möchte niemand in Verlegenheit bringen und damit zugleich klarstellen, dass ich allein für die beschriebenen Inhalte und Einschätzungen verantwortlich bin. Bekanntlich ist hier zu Lande die Meinungsfreiheit gewährleistet, vorausgesetzt, man ist in der Lage, die wirtschaftlichen Folgen zu tragen.

Karl Lüönd, Januar 2010  



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