Der Himmel ist für Gott, der Staat für uns

Islamismus zwischen Gewalt und Demokratie

Von Metzger, Albrecht

Lamuv, 2000. 238 S. 21,5 cm, Kartoniert

ISBN: 978-3-88977-569-6

4,95 €

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Welche Ziele verfolgen die Islamisten? Terrorakte islamistischer Fundamentalisten erschrecken immer wieder die westliche Welt. Doch müssen wir wirklich vor "Allahs Kriegern" (Focus) zittern? Albrecht Metzger hat mehrmals fünf Länder im Nahen Osten besucht und rund 70 Interviews geführt: mit Islamisten und ihren Kritikern. Für ihn ist der Islamismus eine politische Bewegung, die keineswegs mehrheitlich aus extrem gewaltbereiten Gruppierungen besteht. Bis auf wenige Ausnahmen - Iran, Sudan, Afghanistan - sei es ihnen nicht gelungen, sich an die Macht zu putschen. Dennoch haben sie es geschafft, in Ländern wie Ägypten und Algerien die kulturelle Oberhand zu gewinnen.

Die Vorstellung, der Islam greife nach der Weltherrschaft und bedrohe unsere westlich-säkulare Zivilisation, ist ein in den Medien häufig wiederkehrendes Motiv. Schlagzeilen wie "ISLAM, Fundamentalisten - GEFAHR für uns alle?" (Gala) oder "Islamisten auf dem Weg nach Europa - Zittern vor Allahs Kriegern" (Focus) sind keine Seltenheit. Genährt werden diese Ängste nicht nur durch den verbalen Radikalismus islamischer Fundamentalisten, sondern durch zahlreiche Terrorakte: angefangen von der 444-tägigen Besetzung der US-Botschaft im Iran 1980 über den grausamen Terrorkrieg der Islamisten gegen die Zivilbevölkerung in Algerien, der seit 1992 an die 60.000 Tote gefordert hat, bis zum Doppelanschlag auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998, bei dem 257 Menschen ihr Leben verloren; verantwortlich dafür soll ein gewisser Ussama Bin Laden sein. Albrecht Metzger hält es trotz allem für falsch, den islamischen Fundamentalismus auf seine terroristischen Komponenten zu re duzieren. Der Islamismus ist keineswegs eine einheitliche Bewegung, die sich über Ländergrenzen hinweg gleichmäßig entfaltet. Er ist eine moderne, zugleich konservative politische Bewegung, die auf Fortschritt setzt. Fortschritt steht für Stärke, und Stärke bedeutet Unabhängigkeit von dem Willen fremder Mächte. "Der Islam steht im Dienste der Menschen", so der jordanische Muslimbruder Bassam Ammoush. "Er sagt nicht: 'Wartet auf den Himmel und vergesst das Leben hier.' Der Himmel ist für Gott, dieser Staat ist für uns, und wenn wir ihn nicht mögen, dann müssen wir ihn verändern." Abdallah Akwa, Mitglied der Jeminitischen Partei für Reform: "Eines unseres Ziele ist es, die Gesellschaft auf ein modernes Niveau zu heben. Wir glauben aber nicht, dass ein Leben im High-Tech-Zeitalter notwendigerweise auch Nachtclubs und sexuelle Freiheiten mit sich bringen muss. Wir glauben, dass fehlendes Vertrauen in die Familie einer Gesellschaft schadet. Ich habe sogar Freunde in Deutschland, die sagen , es gibt bei uns zu viele Freiheiten. Ich möchte eine saubere Gesellschaft haben." Unabhängigkeit, vor allem von westlicher Dominanz, soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Einheit, eine Gesellschaft ohne Laster und Korruption - das sind stichwortartig die Ziele, die die Islamisten verfolgen, und zwar in Ländern, in denen durchweg ein eklatantes Demokratiedefizit herrscht. Die Islamisten stellen dort die wichtigste Oppositionsbewegung dar. Die fünf Länderstudien Metzgers zeigen, dass sich die Islamisten durchaus am politisch Machbaren orientieren. Dieser Pragmatismus kommt auch in ihrem Verhältnis zu außerislamischen Gesellschaften zum Tragen. Denn anders, als man erwarten sollte, sind viele von ihnen an einem Dialog mit dem Westen interessiert. An einen Krieg der Zivilisationen zwischen dem Islam und dem Westen glauben nur wenige. Trotz aller Attacken gegen westliche Arroganz und Dekadenz halten die meisten Islamisten die europäischen und amerikanischen Demokratien für durchaus gerechte Systeme. Was die Islamisten dem Westen jedoch vorwerfen, ist, er praktiziere Demokratie und beachte Menschenrechte nur in seinem eigenen Territorium. Wenn es aber um fremde Länder und Zivilisationen ginge, setze er andere Standards an.

Albrecht Metzger, geboren 1966, hat Islamwissenschaft, Geschichte und Politikwissenschaft studiert, 1997 und 1998 wissenschaftlicher Assistent am Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut. Er berichtet seit zehn Jahren über den Nahen Osten, u.a. für DIE ZEIT, CHRISMON sowie den Deutschlandfunk. Zahlreiche Veröffentlichungen. Der Autor lebt in Hamburg.



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